DERSU UZALAUZALA, DER KIRGISE ДЕРСУ УЗАЛA R: Akira Kurosawa / 70mm-Projektion „Gehen und mit dem Kopf wackeln. Augen haben und doch nichts sehen und nichts verstehen. So leben die Leute in der Stadt. Müssen keinen Hirsch suchen. Wenn sie essen wollen, dann kaufen sie. Wenn sie allein in den Bergen leben, sterben sie bald.“ Das sind einige Fundamentalsätze aus dem Mund des Taigajägers Dersu Uzala in der deutschen Übersetzung des Buches von Wladimir Arsenjew. Dennoch ist dieser weise Jäger und Fährtensucher keine literarische Figur. Es hat ihn tatsächlich gegeben. Arsenjew (1872-1930), der wagemutigste Geologe und Topograph seiner Zeit, hat damit seinem Weggefährten auf den Expeditionen in den wilden Osten Russlands ein Denkmal gesetzt. 1902 war er beim Vorhaben, die Weiten Sibiriens kartographisch zu erfassen, Dersu Uzala zum ersten Mal begegnet. Bis zu seinem Tod 1908 war er ihm ein treuer Begleiter, der Arsenjew zudem tiefe Einblicke in die Lebenswelt, die Sitten, die Mythen und die Glaubensvorstellungen der Bewohner der Taiga ermöglichte.
Irreführend ist der deutsche Verleihtitel des Films, der nach der Vorlage Arsenjews Anfang der 70er Jahre gedreht wurde, UZALA, DER KIRGISE. Der Titelheld war kein Kirgise, sondern gehörte dem kaum bekannten Volksstamm der Golden an, die in dem schwach besiedelten Grenzgebiet von Russland und China lebten. Sei’s drum? Auch mit falschem Titel bietet UZALA, DER KIRGISE ein einmaliges Kinoerlebnis, genauer gesagt, ein einmaliges Naturerlebnis im Kino – in epischer Länge und Breite, aufgenommen in dem russischen 70mm-Verfahren Sowscope 70. Die staatliche, sowjetrussische Produktionsfirma Mosfilm scheute weder Kosten noch Mühe, um Arsenjews populäres Buch vor Ort filmisch in Szene zu setzen und sie engagierte dafür einen der besten Regisseure der Welt, den Japaner Akira Kurosawa. Als ihn das Angebot von Mosfilm erreichte, befand sich Kurosawa, dessen größte Erfolge RASHOMON (1950) und DIE SIEBEN SAMURAI (1954) nun auch schon einige Zeit zurücklagen, in einer schweren Schaffens- und Lebenskrise. Sein erster Farbfilm DODESKADEN – MENSCHEN IM ABSEITS (1970) kam, trotz oder wegen massiver Kürzungen, beim Publikum nicht an, was seine neu gegründete Produktionsfirma an den Rand des Ruins brachte. Kurosawa, der glaubte nie mehr einen Film drehen zu können, unternahm im Dezember 1971 einen Selbstmordversuch. Das sowjetrussische Filmprojekt war seine Rettung. Mosfilm ließ ihm fast alle Freiheiten und viel Zeit. Ganze vier Jahre zogen sich die Vorbereitung und die Dreharbeiten hin. Da Kurosawa sich mit seinem bevorzugten Hauptdarsteller Toshiro Mifune überworfen hatte, besetzte er die Titelrolle mit einem Einheimischen, mit Maxim Munsuk, der seinem realen Vorbild zum Verwechseln ähnlich sah. Der internationalen Filmkritik erschien der kleine Mann mit dem mongolischen Aussehen wie ein unverbildetes Naturtalent. Tatsächlich aber hatte Maxim Munsuk schon Filmerfahrung und war in seiner Heimat, der Region Tuva in Sibirien, ein beliebter bühnenerprobter Volksschausspieler.
DERSU UZALA beginnt damit, dass Arsenjew im Jahr 1910 an den Ort in der Taiga zurückkehrt, in dem er seinen Freund Uzala bestattet hat. Er findet die Grabstelle nicht mehr. Arsenjew erinnert sich an die erste Begegnung im Jahre 1902. Unterwegs mit seinem Expeditionsteam im gebirgigen Ussuri-Gebiet läuft ihm der Nomade, dessen Frau und Kinder an Pocken gestorben sind, über den Weg. Mit seinen Kenntnissen über die Natur, die Tierwelt (so begegnet man einem Tiger) und über feindselige Volksstämme wird er zum unverzichtbaren Helfer. Als beide von einem Kälteeinbruch überrascht werden, rettet ihm Uzala das Leben. Danach taucht Uzala wieder in der Wildnis ab, um weiter Zobel zu jagen. Als Arsenjew 1907 in das Gebiet zurückkehrt, fragt er sich, ob er Uzala wieder begegnen wird.
Es müssen schwierige Dreharbeiten an den Originalschauplätzen gewesen sein. Die Inszenierung macht die Strapazen des Lebens in der Wildnis in großem Realismus nachvollziehbar, am eindrucksvollsten in der Szene, in der Arsenjew und Uzala bei der Erkundung eines Sees von einem Eissturm heimgesucht werden und nur überleben können, weil sie sich nach Uzalas Anleitung in Windeseile eine Schilfhütte bauen. In der Zeit, in der sich im Westen die Öko-Bewegung zu formieren begann, plädierte DERSU UZALA für einen respektvollen Umgang mit der Natur. „Man hat vergessen, dass der Mensch ein Teil der Natur ist und dass man sie habgierig schändet. Deshalb versuche ich einen Menschen zu zeigen, der mit der Natur im Einklang lebt“, sagte Kurosawa selbst. Sein russischer Abstecher, der mit dem „Ersten Preis“ des Moskauer Filmfestivals und dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet wurde, verschaffte ihm wieder internationale Aufmerksamkeit. (Peter Kohl) UdSSR/Japan 1975; Regie: Akira Kurosawa; Buch: Akira Kurosawa, Juri Nagibin, nach den Reisenberichten von Wladimir Arsenjew; Kamera: Fjodor Dobronrawow, Juri Gantman, Asakazu Nakai; Musik: Isaak Schwarz; DarstellerInnen: Maxim Munsuk (Dersu Uzala), Juri Solomin (Wladimir Arsenjew), Swetlana Daniltschenko (Frau Arsenjew), Dmitri Korschikow (Wowa, Sohn der Arsenjews), Alexandr Pjatkow (Olenin), Wladimir Kremena (Turtwigin), Suimenkul Tschochmorow (Jan Bao) u.a.; (70mm; 1:2,20; Farbe Sowcolor; 6-Kanal-Magnetton; 144min; russische ORIGINALFASSUNG MIT DEUTSCHEN UNTERTITELN).
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