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CAPTURING THE FRIEDMANS

R: Andrew Jarecki

Arnold und Elaine Friedman und ihre drei Söhne sind von außen betrachtet eine typische Familie im wohlhabenden Great Neck auf Long Island. Als sie eines Tages zum festlichen Thanksgiving-Essen zusammenkommen, bricht die Polizei in ihr Haus ein, durchsucht alles und verhaftet Arnold und den 18-jährigen Jesse. Der passionierte Lehrer war als Abonnent von Kinderpornografie überführt worden. Nach unzähligen Befragungen von Friedmans Schülern, kommt eine Anklage wegen sexuellem Missbrauch zustande, die in ihrer Monstrosität jede Glaubwürdigkeit sprengt.
In CAPTURING THE FRIEDMANS, der beim Sundance Film Festival 2003 den Großen Preis der Jury für die beste Dokumentation gewann, geht es zum einen darum, die Umstände der Festnahme der beiden Familienmitglieder zu rekonstruieren: Andrew Jarecki hat dabei ein umfassendes Bild im Sinn, das juristische Abläufe wie soziopolitische Zusammenhänge inkludiert. Zum anderen aber werden die Friedmans als solche erfasst oder eingefangen als Bild, oder besser: in einer Serie von Bildern, die in sich widersprüchlich bleiben müssen, sich zu keinem richtigen oder dem wahren Bild formieren.
Die Friedmans hatten sich mit einer geradezu unheimlichen Obsession – vor und vor allem auch während der Ermittlungen gegen sie – selbst gefilmt. Jarecki inkludiert diese Aufnahmen und so stellt das Eigenbild der Familie oft eine Antithese zu den anderen Aussagen dar. Aber auch diese selbst werden als widersprüchliche rhetorische Rede angeordnet, die ständig neue Sichtweisen auf die Vorfälle zulässt. Als Zuschauer sieht man sich insofern in der Situation, seine Auffassungen permanent revidieren zu müssen: Denn Jarecki ergreift nicht eilfertig Partei; vielmehr verbindet er die schillernden semantischen Stricke dieses Falls, bis sie einen unentwirrbaren Knoten ergeben. Man könnte sogar behaupten, dass der Film bisweilen bewusst in die Irre führt, indem er den Zuschauer motiviert, die vielfältigsten Standpunkte zu teilen und mit der Montage voreilige Schlüsse provoziert, nur um sie später zu revidieren – ein dramaturgisch aus Thrillern bekanntes Prinzip, das hier für die Logik der Vorverurteilung, für das Spiel mit begründeten und weniger begründeten Verdachtsmomenten steht.
Im Film geben Interviews mit den Friedmans immer wieder Anlass zu Exkursen in die Familiengeschichte, öffnen einen Raum für Episoden, die nicht selten bizarre Einzelheiten enthüllen. Arnold ist dabei ein Mann, der derart gewöhnlich erscheint, dass er auf Bildern ein wenig wie ein Phantom wirkt – und womöglich gerade deshalb die ideale Projektionsfläche für Fantasien aller Art bietet.
Schließlich dokumentiert CAPTURING THE FRIEDMANS auch die hysterische Kehrseite zur gesellschaftlichen Unfähigkeit, über Sex und Gewalt zu sprechen. Und er bringt die Dynamik von Schuldzuweisungen mit einer dämonologischen Tradition in der US-Geschichte in Verbindung, die von den Hexenjagden von Salem bis zum McCarthyism der 50er-Jahre reicht. Das Eigenheim ist in diesen Zusammenhängen das privilegierte Objekt der Paranoia vor einer Unterwanderung, sei es durch politisch subversive Kräfte oder eben auch durch Formen sexueller Abweichungen. (nach: Stadtkino-Programm; www.viennale.at)

USA 2003; Regie: Andrew Jarecki; Kamera: Adolfo Doring; Musik: Andrea Morricone; Mitwirkende: Arnold Friedman, Elaine Friedman, David Friedman, Jesse Friedman u.a.; (35mm, von Video übertragen; Farbe; 107min; englische ORIGINALFASSUNG MIT DEUTSCHEN UNTERTITELN).