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DIE ALLSEITIG REDUZIERTE PERSÖNLICHKEIT – REDUPERS

R: Helke Sander, in Anwesenheit der Regisseurin!

Berlin (West) 1977: vier Tage im Leben von Edda Chiemnyjewski – Alleinerzieherin und freie Pressefotografin. Eddas Alltag gestaltet sich als Balanceakt zwischen Selbstverwirklichung und Anpassung: Bemühungen, nicht auf die Mutterrolle reduziert zu werden und damit einhergehende Schuldgefühle; Identitätssuche über die (künstlerische) Arbeit – trotz schlecht bezahlter Jobs unter miesen Bedingungen; Selbstbehauptung als Künstlerin innerhalb einer Männerdomäne – ohne dass der eigene weibliche, fotographische Blick auf so genannte Frauenthemen reduziert wird; Zerrissen zwischen privaten und beruflichen Ansprüchen muss Edda feststellen, dass „eine Köchin keine Zeit hat, die Staatsgeschäfte zu führen.“ (vgl. Produktionsmitteilung, Berlinale 1978)
„Der Titel des Films parodiert die in Westberlin oft zu hörende Floskel des DDR-Funks von der ‚allseitig verwirklichten sozialistischen Persönlichkeit’ und beschreibt recht drastisch das zerstückelte Leben der Fotografin Edda (von Helke Sander selbst recht eindrucksvoll gespielt), die sich auf keiner Ebene richtig entfalten kann.“ Sanders Erstling ist „ein zärtliches und kenntnisreiches, manchmal auch selbstironisches Porträt dieser Edda und wächst doch wie selbstverständlich darüber hinaus zur Beschreibung einer Stadt, die so zerstückelt und begrenzt ist, wie diese tapfere Frau.“ (Süddeutsche Zeitung)
Durch eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilmsequenzen,Cinéma diréct und Cinéma pur sowie eine geschickte Tonmontage entsteht ein poetisches und zugleich realistisches Bild des geteilten Berlin in den 1970ern. „Als Stadtporträt hat REDUPERS ebenso großen Wert wie als Dokument der frauenbewegten 70er Jahre. Die ironische Selbstbetrachtung typisch weiblicher Verhaltensweisen steht im Kontext eines Frauenprojekts, das das nicht-offizielle Berlin dokumentieren und die Fotos in den öffentlichen Raum zurückbringen will.“ Sander führt „einen zugleich medienpolitischen wie geschlechterreflexiven Diskurs.“ (Eva Hohenberger in: Frauen und Film) „Helke Sander hat in REDUPERS Frauenerfahrungen als Erfahrungen von Widersprüchen, Widerständen und Reduktionen gezeigt. [...] Helke Sander drängt dem Zuschauer den Zusammenhang von gesellschaftlichen Zwängen und individuellen Entfaltungsmöglichkeiten bzw. ihrer Reduzierung nicht als Schicksalsgeschichte auf, wie im Erzählkino üblich. Die Stärke des Films, sein sinnlicher und intellektueller Reiz besteht gerade darin, dass immer neue Seiten, Sichtweise auf Gesellschaft wie aufs Individuum erkennbar werden [...]“ (Uta Berg-Ganschwo in: Frauen und Film).
„Ihr Film ist persönlich (doppelt gebrochen durch sie als Autorin wie als Schauspielerin) und distanziert; ein Essay; er verdichtet Erfahrungen und formuliert Fragen, er berührt die Empfindung, und er tangiert den Kopf, selbstkritisch und utopisch, keineswegs romantisch (eher fontanisch), ist seine ‚Universalpoesie’ doch progressiv: offen, humoristisch, präzis [...]“ (Wolfram Schütte in: Frauen und Film)
„Das Prinzip des Films sind seine kleinen Aufmerksamkeitsverschiebungen: auf die Brüche zwischen Bild und Abbild, zwischen behauptetem und realem Verhalten. Die Summe dieser lockeren Bewegungen auf bodenlosem Terrain addiert sich zu einem Essay über Westberlin und die Möglichkeiten einer Frau, in jener Stadt anders zu leben, mit einem veränderten Blick. Aus dem scheinbar Nebensächlichen organisiert er die Hauptsache: die Einladung zu einer Rundfahrt durch den Alltag in der Geisterbahn, die uns seine Schrecken vor Augen führt und doch nicht bange macht.“ (Die Zeit, 1978)
Auszeichnungen: Grand Prix – Internationales Filmfestival Hyères 1978; Prix L’Age d’Or –Internationales Filmfestival Βrüssel;

BRD 1977; Buch & Regie: Helke Sander; Kamera: Katia Forbert; Schnitt: Ursula Höf; Musik: Ludwig van Beethoven, Walter Kollo, Lothar Elias; DarstellerInnen: Helke Sander (Edda Chiemnyjewski), Joachim Baumann (Stern-Redakteur), Andrea Malkowsky (Dorothea Chiemnyjewski), Frank Burckner (Kulturmanager), Eva Gagel (Mitbewohnerin), Gesine Strempel (Fotografin), u.a.m.; (35mm; 1:1,38; S/W; 98min; deutsche ORIGINALFASSUNG) In Anwesenheit der Regisseurin! Helke Sander: geb. 1937 in Berlin, Schauspielerin, Theaterregisseurin, Filmemacherin, Autorin, Universitätsprofessorin, Feministin; Mit-Initiatorin vom „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ und Gründerin der ersten Kinderläden in Berlin (1968); Mitfrau der Frauengruppe „Brot und Rosen“ und Mitarbeit am „Frauenhandbuch Nr. 1, Abtreibung und Verhütung“ (1971); Organisatorin des „1. Internationalen Frauenseminars“ – gemeinsam mit Claudia Alemann (1973); Gründung von „Frauen und Film“ – erste feministische Filmzeitschrift Europas (1974); bis 1981 Herausgeberin und langjährige Redakteurin von „Frauen und Film“; Zahlreiche Dokumentar- und Spielfilme. Filmografie (Auswahl): BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1967/68), KINDER SIND KEINE RINDER (1969), EINE PRÄMIE FÜR IRENE (1971); MÄNNERBÜNDE (1973); MACHT DIE PILLE FREI? (1973), DIE ALLSEITIG REDUZIERTE PERSÖNLICHKEIT – REDUPERS (Spielfilm, 1977); DER SUBJEKTIVE FAKTOR (Spielfilm, 1981); VÖLLEREI? FÜTTERN! Kurzfilmbeitrag in: SIEBEN FRAUEN – SIEBEN TODSÜNDEN (1986), BEFREIER UND BEFREITE (1992), MUTTERTIER – TUTTERMENSCH (1999), MITTEN IM MALESTREAM (Dokumentarfilm, 2005)