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IL PORTIERE DI NOTTE

DER NACHTPORTIER

R: Liliana Cavani

Hotel Zur Oper, Wien 1957. Der Nachtportier Max (Dirk Bogarde) tritt seinen Dienst an: gelangweilt, distinguiert, exakt in den Bewegungen, unmissverständlich im Ton – eher Organisator, denn Diener. Lucia (Charlotte Rampling), Frau eines gefeierten amerikanischen Dirigenten, betritt die Hotelhalle. Beider Blicke begegnen einander und zerschneiden die Zeit. Verdrängte Bilder drängen sich ins Gedächtnis. Das Erinnern wird zur quälenden Montage, bis die Vergangenheit die Gegenwart eingeholt hat:
Ein Konzentrationslager in den 40er Jahren: Der SS-Offizier Max mustert durch eine Kamera den angekommenen Häftlingszug. Sein Blick wird zum Blick des Kinopublikums und bleibt auf Lucia hängen. Die Wiener Volksoper 1957: Lucias Ehemann dirigiert Mozarts Zauberflöte. Auf der Bühne tönt es heiter: „Die Männlein und die Weiblein, welche Liebe spüren...“, doch in Lucias Kopf schmettert die Arie anders. Sie hat sie schon einmal gehört, damals, im KZ, als alle Frauen zusehen mussten, wie eine von ihnen vergewaltigt wurde und sie selbst dann von einem SS-Offizier (Max) aus dem Raum geführt und zu sexuellen Handlungen gezwungen wurde. Schweigsam und stolz gab sich Lucia den Wünschen und Erniedrigungen des SS-Offiziers hin, die sie selbst nicht wollte, oder doch?
Durch diese Parallelmontage (Oper/Opfer) verliert Österreich den Nimbus der Unschuld, den es von offizieller Seite bis in die 80er Jahre aufrechterhalten wollte. Cavanis Entscheidung für Wien als Dreh- und Handlungsort war nicht zufällig: in Österreich wurde die Entnazifizierung weniger gründlich vollzogen als in Deutschland, und die „Minderbelasteten“ nahmen ab 1948 schon wieder wichtige Positionen ein, aus denen sie 1945 ausgeschlossen worden waren. Die Hintergrundhandlung reflektiert das Ringen der Altnazis um Kontinuität: Die ehemaligen Kameraden von Max sind bereit, alles zu tun, um wieder in das Licht der Öffentlichkeit treten zu können. Sie fordern Max auf, Lucia zu töten, denn ein Wort von ihr könnte sie alle auffliegen lassen. Doch Lucia schweigt und Max schützt sie auf seine eigene Art. Das sadomasochistische Abhängigkeitsverhältnis zwischen Max und Lucia wiederholt sich und wird beiden zum Verhängnis.
Cavanis NACHTPORTIER aus dem Jahre 1973 war seinerzeit ein Skandal und löste heftige, emotional geführte Diskussionen aus. Cavani erregte nicht nur Aufsehen aufgrund ihrer Art, Sexualität darzustellen, sondern erntete auch Vorwürfe, ein allzu „braun gefärbtes“ Österreichbild zu zeichnen, während ihr von anderer Seite wiederum die Ästhetisierung der Nazigräuel vorgeworfen wurde. Eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung des Zusammenhangs von Faschismus und Sexualität im Film wurde 1999 von Marcus Stiglegger vorgelegt. Er nennt neben Bertoluccis DER GROSSE IRRTUM, Viscontis DIE VERDAMMTEN, Pasolinis 120 TAGE VON SODOM auch Cavanis NACHTPORTIER als jene Filme, die das grobe Grundgerüst für ein eigenes Subgenre bereitstellten: Sadiconazista. Dieser Begriff stammt aus der italienischen Pulpliteratur der 60er Jahre, in der sich eine Verbindung von Sex, Grausamkeit und Politik abzeichnete, die sich wiederum auf Filme der 70er Jahre übertragen lässt. In den Sadoconazistas werden Gewalt und Brutalität des Nationalsozialismus in einen sexuellen Kontext verschoben: „Das Verhältnis von Henker zu Opfer wird sadomasochistisch verklärt und auf die Ebene sexueller Passionen verlagert. Auf diese Weise wird eine Entpolitisierung und Enthistorisierung des Phänomens Nationalsozialismus gefördert“. Die Sadiconazistas reduzieren die genannten Filmszenarien auf ihre sadomasochistische Fabel, „um einem exzessiven patriarchalen Zerstörungs- und Todestrieb unterhaltsam zu huldigen. Historische Elemente und die tatsächliche sadomasochistische Dialektik zwischen aktivem und passivem Partner werden dabei missbraucht und verfälscht.“ (Stiglegger) Michel Foucault urteilte über die Erotisierung des Dritten Reiches in den Sadiconazistas wie folgt: „Der Nazismus wurde im 20. Jahrhundert nicht von den Verrückten des Eros erfunden, sondern von den Kleinbürgern, den übelsten, biedersten und ekelhaftesten, die man sich vorstellen kann. [...] Man hat dort Millionen Menschen getötet, ich sage dies also nicht, um die Vorwürfe zu entkräften, die es diesem Unternehmen zu machen gilt, sondern gerade um es von allen erotischen Werten zu entzaubern, die man ihm zuschreiben wollte.“
DER NACHTPORTIER ist vordergründig zwar als Amour fou und somit erotisch lesbar: als sadomasochistische Beziehungsgeflecht, als Drama, das um die Themen Leidenschaft und Schuld kreist, etc. Doch Cavani ist weit davon entfernt, das Nazitum zu erotisieren, denn im Hintergrund zeigt sie jene, die überleben: die Bürokraten, die Üblen, die Be-Rechnenden und Biederen, die Kleinbürger, die Spitzel, die Handlanger und Laufburschen, etc. – ein Stück Österreich, das nicht nur im Gedenkjahr 2005 gerne verdrängt wird.

Italien/Großbritannien 1973; Regie: Liliana Cavani; Drehbuch: Liliana Cavani, Italo Moscati; Kamera: Alfio Contini; Musik: Danièle Paris; DarstellerInnen: Dirk Bogarde (Max), Charlotte Rampling (Lucia), Philippe Leroy, Gabriele Ferzetti, Isa Miranda, u.a. (35mm; Farbe, 122min; englische ORIGINALFASSUNG MIT DEUTSCHEN UNTERTITELN).